Gesundheit – Der Kern der deutschen Krankenhausmisere

Autor: Kalle Kunkel

Dieser Text erschien zuerst bei der Wochenzeitung ›Der Freitag‹ (13.03.2020) unter freitag.de.

Gesundheit Huch, hatten wir in den Klinken nicht gerade noch „Überkapazitäten“? Wie die Corona-Krise den Irrsinn von Fallpauschalen und Erlösorientierung offen legt.

Die Coronavirus-Epidemie macht deutlich, dass Krankenhäuser eine gesellschaftliche Infrastruktur sind, die für Krisenfälle eine ausreichende Kapazität vorhalten muss.

Zeitgleich zur Verbreitung des Corona-Virus entbrennt eine Diskussion darüber, ob das deutsche Gesundheitssystem für einen solchen Krisenfall gewappnet ist. Erste Signale, dass es hier nicht zum Besten steht, hat die Regierung selbst unfreiwillig gesendet: Bereits vergangene Woche erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die erst kürzlich in Kraft getretenen minimalistischen (Pflege-) Personalvorgaben („Untergrenzen“) für die Krankenhäuser vorerst wieder außer Kraft zu setzen, damit die Krankenhäuser auch dann unter Volllast behandeln können, wenn das (Pflege-) Personal knapp wird. In dieser Hinsicht wirkt die Cornona-Pandemie eher wie ein Brennglas, in dem schon länger bekannte Probleme besonders scharf sichtbar werden: es fehlt an Personal in den deutschen Krankenhäuser.

Die Pandemie sorgt jedoch auch in weiteren krankenhauspolitischen Fragen für eine Perspektivverschiebung. Von (neo)liberaler Seite wurden in den vergangenen Jahren vor allem die angeblichen „Überkapazitäten“ an Bettenplätzen und Krankenhausstandorten in Deutschland in den Mittelpunkt der Debatte gestellt. Sie würden zu einer Fehlsteuerung der Ressourcen führen. Weniger Betten konzentriert an weniger Krankenhausstandorten – so die über Jahre eingeübte Kernbotschaft – würden ermöglichen, mit dem vorhandenen Personal die Pflegebedingungen für PatientInnen und Beschäftigte zu verbessern und sogar noch Geld zu sparen. Die im europäischen Vergleich hohe Bettendichte pro EinwohnerIn gilt in dieser Argumentation als Beleg für Rationalisierungspotential.

Die Debatte verschiebt sich

Mit der Corona-Pandemie verschiebt sich die Debatte. Jens Spahn wird in diesen Tagen nicht müde zu betonen, dass Deutschland mit seiner im europäischen Vergleich hohen Dichte insbesondere von Intensivbetten, gut auf Corona vorbereitet sei und über „ein vergleichsweise gut bis sehr gut ausgestattetes Gesundheitssystem“ verfüge. Was gestern also noch eines der größten Probleme des deutschen Krankenhauswesens gewesen sein soll, verwandelt sich von einem auf den anderen Tag in ein wichtiges Argument für die ,Leistungsfähigkeit des Deutschen Gesundheitswesens‘. Dass der Minister es für nötig hält, die Personalvorgaben für diese Bereiche außer Kraft zu setzen, verweist jedoch darauf, dass man auch im Gesundheitsministerium nicht restlos von der eigenen Botschaft überzeugt ist.

Diese Entwicklung macht deutlich, dass Krankenhäuser eine gesellschaftliche Infrastruktur sind, die für Krisenfälle eine ausreichende Kapazität vorhalten muss. Diese Kapazitäten können per Definitionem im nicht-Krisenmodus zumindest zum Teil nicht genutzt werden.

Damit sind wir beim Kern der deutschen Krankenhausmisere: der Finanzierung nach den sog. Fallpauschalen (DRG). Denn deutsche Krankenhäuser bekommen nur ein Minimum ihres Budgets für die Vorhaltung von Kapazitäten. Die Krankenhäuser werden pro Patientenfall bezahlt, den sie behandeln. Sie müssen ihre Kapazitäten immer so auslasten, dass sie über die Erlöse durch die einzelnen Patientenfälle genug Geld einnehmen, um den Betrieb ihrer gesamten Infrastruktur (inklusive Personal) finanzieren zu können.

Was Lauterbach verschweigt

In einem solchen System handelt betriebswirtschaftlich unverantwortlich, wer seine Kapazitäten nicht so weit wie möglich auslastet. Für den Krisenfall vorgehaltene (leere) Betten sind aus der individuellen Krankenhausperspektive Erlösausfälle. Das Problem beginnt also nicht erst – wie man es aktuell in verschiedenen Stellungnahmen hört – mit der Gewinnorientierung. Es beginnt bereits mit der „Erlösorientierung“ – also dem Zwang den gesamten Betrieb durch das Erbringen von „Leistungen“ finanzieren zu müssen – unabhängig davon, ob diese individuell oder gesellschaftlich gerade sinnvoll sind. Es wäre, wie wenn die Feuerwehr nur für jeden gelöschten Brand bezahlt werden würde.

Dies gilt auch für die aktuelle Situation. Aus epidemiologischer Sicht müssten die Krankenhäuser schon jetzt beginnen, Kapazitäten frei zu machen, indem planbare – sog. elektive – Eingriffe verschoben werden. Dies soll nun nach Absprache zwischen Bund und Ländern ab Montag umgesetzt werden. Für das Krankenhaus ist das jedoch ein betriebswirtschaftliches Risiko, für das es im aktuellen Finanzierungssystem keine Lösung gibt. Denn zum einen wissen die Krankenhäuser nicht, wann und in welchem Umfang die Corona-Fälle wirklich kommen und sie entsprechend mit ihnen Geld verdienen können. Noch wichtiger: sie wissen auch nicht ob die Erlösausfälle, die sie vielleicht durch die Verschiebung von lukrativen „Fällen“ erleiden, durch die Erlöse über Corona-PatientInnen kompensiert werden können. Zumal diese wegen der Notwendigkeit der Isolation viele Kapazitäten in Beschlag nehmen werden. Das schwant inzwischen auch dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der in der Tagesschau davor warnte, dass private Klinikbetreiber sich gegen die Aufnahme von Corona-PatientInnen wehren könnten, weil sie damit „lukrativere“ Patienten verlieren. Was Lauterbach verschweigt: durch das Fallpauschalen-System, das er seinerzeit selbst mit eingeführt hat, besteht dieser Anreiz auch für öffentliche und freigemeinnützige Häuser.

Durch die Art der Krankenhausfinanzierung stehen die betriebswirtschaftlichen Einzelinteressen der Krankenhäuser also in einem beständigen Spannungsverhältnis zum öffentlichen Interessen an einer Gesundheitsinfrastruktur. Dies wird in der aktuellen Situation zu beständigen Verzögerungen und Problemen in den Abstimmungsprozessen führen. Krankenkassen und Krankenhäuser sollen sich nach Willen des Gesundheitsministeriums nun darüber verständigen, wie Erlösausfälle kompensiert werden sollen. Angesichts der Tatsache, dass diese beiden Akteure sich jedes Jahr mit tausenden von Gerichtsverfahren, wegen Abrechnungsfragen überziehen, werden sie sich nicht leicht tun, sich über die nicht ganz banale Frage zu verständigen, wie diese Erlösausfälle zu berechnen sind. Die Bundesregierung zieht sich hier aus der Affäre, in einer Situation, in der jede Unsicherheit vermieden werden muss.

Ohne Desinfektion

Bis zu der jüngst angekündigten Absage der planbaren Behandlungen wurde das Problem vor allem durch das Aussetzen der „Untergrenzen“ auf dem Rücken der Beschäftigten gelöst. Wie reibungslos diese Ankündigung angesichts des Erlösdrucks umgesetzt wird, werden die nächsten Tage zeigen. Der Pflegeberufsverband DBfK berichtet bereits davon, dass Kliniken das Aussetzen der Untergrenzen nutzen um Betten mit Nicht-Corona-PatientInnen zu belegen. Dabei ist das Aussetzen der Personalstandards bei der Ausbreitung eines hoch ansteckenden Virus besonders widersinnig. Eine der zentralen Gegenmaßnahmen gegen die Übertragung im Krankenhaus, ist eine ausgiebige Händedesinfektion. Umfragen unter Pflegekräften habe gezeigt, das diese bei Unterbesetzung mit als erstes vernachlässigt wird.

Wir lernen also jetzt schon aus der Krise, dass die Propagierung angeblicher Überkapazitäten und der Notwendigkeit von flächendeckenden Krankenhausschließungen, wie sie die Bertelsmann-Stiftung und andere betreiben, unverantwortlich ist. Es ist aber darüber hinaus überfällig, Alternativen zum bestehenden System der Fallpauschalen-Finanzierung zu entwickeln. Krankenhausversorgung darf nicht den Marktanreizen überlassen, sondern muss demokratisch geplant werden.


Kalle Kunkel hat als Verdi-Gewerkschaftssekretär die Streiks zu Personalbemessung an der Charité in Berlin mitorganisiert. Er ist in der Kampagne „Krankenhaus statt Fabrik“ aktiv.

14.03.2020 | Kundgebung ›100 Jahre Kapp-Putsch und Generalstreik‹

Was war geschehen?

Rechtsradikale monarchistische Militärs hatten geputscht. Soldaten, die noch immer nicht verstanden hatten, dass sie sich im Kriege unter den Parolen von der ›Ehre des Kaisers‹ und der ›Größe des Vaterlandes‹ hatten missbrauchen lassen für die Eroberungspläne des deutschen Großbürgertums, waren seit Ende 1918 in Scharen in die Freikorps geströmt, die die Offiziere zur Bekämpfung der verhassten Revolution aufgestellt hatten.

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An alle, die die Petition unterstützt haben!


Wir, das Team von AWO Refugium Freudstrasse ( Berlin-Mitte) setzen mit dieser Aktion ein Zeichen gegen die Rechtsentwicklung in unseren Land. Wir bringen damit unsere Wut und Trauer über die rechten Mord/Terroranschläge zum Ausdruck und positionieren uns eindeutig gegenüber unseren Bewohnerinnen (und Nachbarinnen)“

Foto: S. Kätsch https://awo-mitte.de/gefluechtet-asyl/refugium-freudstrasse/

Beschäftigte im Botanischen Garten (s. Foto) und anderswo drückten ihre Trauer und Entschlossenheit aus, dem rassistischen und menschen verachtenden Hass entgegenzutreten. weiterlesen hier

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist botan.-Garten-1024x768.jpg.
Foto: ver.di Betriebsgruppe FU Berlin und der Gesamtpersonalrat der FU

An alle, die die Petition unterstützt haben!vielen Dank für die Unterstützung der Petition, die den Gewerkschaften vorschlug, am Tag der Trauerfeier in Hanau um 11:50 Uhr für 10 Minuten die Arbeit niederzulegen. Bemerkenswert die Vielzahl und Ernsthaftigkeit der Kommentare, die deutlich gemacht haben, dass es auch Ihnen um ein sehr wichtiges Anliegen geht. weiterlesen hier:

Interviews zur Vorbereitung der Kundgebung ›100 Jahre Kapp-Putsch – 100 Jahre Generalstreik – Massenstreik gegen Faschismus und Militarismus‹

In Vorbereitung unserer Kundgebung ›100 Jahre Kapp-Putsch – 100 Jahre Generalstreik – Massenstreik gegen Faschismus und Militarismus‹ am 14. März 2020 interviewten wir (Koordination 1918 Unvollendet) Martina Renner, Reiner Zilkenat und Bernd Langer.

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›Höchste Zeit, dass Gewerkschaften ein Zeichen setzen!‹

Gedenkveranstaltung für Opfer rechter Gewalt in Hanau. Aufruf zur Arbeitsniederlegung am heutigen Mittwoch. Ein Gespräch mit Benedikt Hopmann.


Das Interview mit Benedikt Hopmann führte Gitta Düperthal für die Junge Welt.
Erstveröffentlichung: Junge Welt Ausgabe vom 04.03.2020

Benedikt Hopmann ist Anwalt für Arbeitsrecht in Berlin, vertritt abhängig Beschäftigte und berät Betriebsräte und Gewerkschaften


Am Mittwoch findet in Hanau die Trauerfeier für die Opfer des rassistischen Anschlags statt. Sie haben zu diesem Anlass Petitionen ins Leben gerufen, in denen Sie zur zehnminütigen Arbeitsniederlegung, beginnend um 11.50 Uhr, aufrufen. Wie kamen Sie auf die Idee, dies gegenüber den Vorständen und Bezirksleitungen der Gewerkschaften zu fordern?

Besagte Petitionen, die sich mit demselben Wortlaut an verschiedene Adressaten wenden, habe ich – das sei zunächst gesagt – gemeinsam mit der Initiative »9. November 2018 – 100 Jahre unvollendete Revolution« initiiert. Unser Aufruf verweist auf die 94 Todesopfer rechter Gewalt, die seit 1990 offiziell anerkannt sind. Nach Angaben von Tagesspiegel und Zeit online sind es mindestens doppelt so viele. Im vergangenen Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Rechten ermordet. Im Oktober versuchte in Halle ein Neonazi vergebens, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in eine Synagoge einzudringen, in der sich über 50 Menschen aufhielten, um dann anschließend zwei Menschen zu erschießen. Vor zwei Wochen nun der Mord aus rassistischen Motiven an neun Menschen in Hanau. Angesichts dessen ist es höchste Zeit, dass die Gewerkschaften ein Zeichen gegen rechte Gewalt setzen, sowie gegen die, die den Boden dafür bereiten.

Die Petitionen zeigten bereits Wirkung: Die IG Metall Hanau-Fulda, Verdi Hessen und Verdi Berlin-Brandenburg haben jeweils mit eigenen Worten Arbeitsniederlegungen vorgeschlagen. Der DGB selbst hat sich bisher nicht geäußert.

Der Verdi-Landesverband Berlin-Brandenburg macht seinen »Vorschlag« allerdings davon abhängig, dass »viele Arbeitgeber« ihren Beschäftigten »diese zehn Minuten antirassistischen Gedenkens gestatten würden«. Heißt doch: Passt es dem Unternehmen nicht, soll es keinen Streik geben. Wie finden Sie das?

Zunächst ist es gut, dass Verdi Berlin-Brandenburg mitmacht. Wir dürfen diese demonstrative Arbeitsniederlegung aber auf keinen Fall von der Zustimmung der Arbeitgeber abhängig machen. Es geht hier um die Meinungsfreiheit der Beschäftigten, die sich gegen rechte Gewalt aussprechen. Das Bundesverfassungsgericht sagte 1985 in seinem Urteil zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit: Das Recht, »sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers«. Ergo: Lassen wir uns an einem Tag wie dem der Gedenkveranstaltung den Mund verbieten, sind wir nicht mehr als Untertanen.

Die IG Metall Berlin vertritt in ihrem Aufruf hierzu eine andere Position als Verdi Berlin-Brandenburg. Sie erwähnt in ihrer Erklärung die Arbeitgeber nicht, dafür aber die Vertrauensleute.

Zurück zu Ihrem Anliegen. Ein zehnminütiger Streik – wen soll das beeindrucken?

Sicher hätte es eine stärkere Wirkung, die Arbeit länger niederzulegen. Aber es geht doch vielmehr darum zu erkennen, dass die Betriebe und die Verwaltungen die richtigen Orte dafür sind, um ein klares Signal gegen rechts zu setzen. Das haben auch der Gesamtbetriebsrat und der Vorstand der Daimler AG erkannt und sich geeinigt, an allen deutschen Standorten diese Gedenkminuten zu machen.

Welche Rolle spielt bei diesem Thema die »unvollendete Revolution« vor mehr als 100 Jahren?

Die Gewerkschaften haben zweimal in ihrer Geschichte fundamental gegen ihre eigenen Interessen und die ihrer Mitglieder gehandelt: Das erste Mal stellten sie sich im Ersten Weltkrieg auf die Seite der kriegführenden Regierung. »Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich«, hieß es damals. Das zweite Mal riefen sie mit zu Hitlers Maifeier am 1. Mai 1933 auf. Die Quittung bekamen sie am Tag darauf: Faschisten stürmten die Gewerkschaftshäuser und zerschlugen alles, was bis dahin erkämpft worden war. Das endete wieder in einem verheerenden Krieg. Toni Sender, Cläre Casper, Otto Brenner, Willi Bleicher und andere Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter standen dagegen für eine antifaschistische Haltung. Auf dieses Erbe sollten wir uns besinnen. Dass wir gegen rechte Gewalt und deren Wegbereiter sind, dürfen wir nicht nur sagen, sondern müssen es auch zeigen.

https://www.jungewelt.de/artikel/373771.nach-anschlag-in-hanau-h%C3%B6chste-zeit-dass-gewerkschaften-ein-zeichen-setzen.html

*Solidarität statt Spaltung – Kein weiteres Opfer mehr!* *DIDF begrüßt und unterstütz die Aufrufe zu betrieblichen Gedenkminuten *

Presseinformation Nr. 25 ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg – Hanau betriebliche Gedenkminute

Berlin, 2. März 2020
Nr. 25
Landesbezirk Berlin-Brandenburg
www.bb.verdi.de

P R E S S E I N F O R M A T I O N

Aufruf zu betrieblichen Gedenkminuten anlässlich der Trauerfeier für die Opfer von Hanau

Der ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg ruft alle Beschäftigten dazu auf, während der zentralen Trauerfeier für die Opfer von Hanau am kommenden Mittwoch, den 4. März 2020, von 11.50 bis 12.00 Uhr Gedenkminuten in Betrieben und Dienststellen abzuhalten.

Zehn Menschenleben sind von einem rechtsextremistischen Rassisten in Hanau ausgelöscht worden. Über ihre Familien und Freunde ist unermessliches Leid hereingebrochen. Wir fühlen und trauern mit ihnen. Diese menschenverachtende Tat ist für uns ein weiterer trauriger Anlass, unseren Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus unvermindert fortzuführen.

Der ver.di-Landesbezirk fordert alle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter dazu auf, rechtsextremem, rassistischem und antisemitischem Verhalten energisch entgegenzutreten, sowohl am Arbeitsplatz als auch im privaten Bereich.

ver.di- Landesbezirksleiter Frank Wolf erklärte:

„Viele unserer Mitglieder haben bei Protesten gegen Rechts in der vergangenen Zeit zum Ausdruck gebracht, dass unsere Gesellschaft gegen die Brunnenvergifter verteidigt werden muss. Hass und Intoleranz dürfen unsere demokratischen Werte nicht zerstören. Wer Gewalt sät, gehört zu den Demokratiezerstörern und muss die Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen.

Am kommenden Mittwoch, den 4. März, findet in Hanau die zentrale Trauerfeier für die Opfer statt. Wir wollen an diesem Tag die Initiative ergreifen und ein klares Bekenntnis gegen rechte Gewalt senden. Wir wollen deutlich machen, dass in unserem Land kein Platz für Rassismus und Rechtsextremismus ist. Wir stehen ein für Menschlichkeit, Toleranz und Respekt.“

Wir schlagen daher vor, am Mittwoch, den 4. März 2020, um 11:50 Uhr in Betrieben und Verwaltungen für 10 Minuten die Arbeit ruhen zu lassen.
Wir würden uns freuen und es sehr begrüßen, wenn viele Arbeitgeber in Berlin und Brandenburg diesem Vorschlag folgen und ihren Beschäftigten diese zehn Minuten antirassistischen Gedenkens gestatten würden. Das vorausgesetzt, freuen wir uns über eine rege Teilnahme der Kolleginnen und Kollegen. Zeigen wir es in der Öffentlichkeit: Wir sind mehr! Wir schweigen nicht. Wir bekennen Farbe!

Für Rückfragen: Frank Wolf, Landesbezirksleiter ver.di Berlin-Brandenburg, Tel.: 030 / 8866-4100

Die Freiheit in Betrieben und Verwaltungen am 4. März gegen rechts zu demonstrieren

RA Benedikt Hopmann

Es sind die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Betrieben und  Verwaltungen, die das in die Hand nehmen müssen. In manchen Betrieben und Verwaltungen haben sie Vertrauensleute gewählt. Häufig werden Betriebsräte ihren ‚Betriebsratshut‘ ab – und Ihren ‚Gewerkschaftshut‘ aufsetzen und dann in dieser Funktion die Beschäftigten am kommenden Mittwoch zur Arbeitsniederlegung aufrufen: Am Tag der Trauerfeier der Stadt Hanau, um 11:50 Uhr.

Wenn die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter einen solchen Beschluss gefasst haben, werden sie in der Regel den Arbeitgeber auffordern, diese Initiative zu unterstützen.  Unterstützt der Arbeitgeber diese Initiative, wird es häufig leichter sein, die Beschäftigten zur Teilnahme zu mobilisieren. 

Was aber, wenn der Arbeitgeber die Unterstützung ablehnt, zum Beispiel weil er mit der AfD sympathisiert? 

Dann sollten die Beschäftigten trotzdem dazu aufgerufen werden, die Arbeit niederzulegen. Der Vorschlag der IG Metall Hanau-Fulda schließt diese Möglichkeit nicht aus. 

Wir dürfen nicht auf eine Arbeitsniederlegung am Tag der Trauerfeier  verzichten, weil  der Arbeitgeber diese Arbeitsniederlegung nicht will, zum Beispiel weil er Anhänger der AfD ist. Ein Verzicht aus diesem Grund wäre der Tod der  Meinungsfreiheit in einem sehr wichtigen Moment.

Es geht um die Meinungsfreiheit der Beschäftigten gegen rechte Gewalt und gegen diejenigen, die ihr den Weg bereiten. Zu diesem Zweck in den Betrieben und Verwaltungen die Arbeit ruhen  lassen, darf nicht von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig gemacht werden.

Das Bundesverfassungsgericht drückt es so aus: »Die Meinungsfreiheit (…) gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. (…) Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe  verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. (…) Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise (…) das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers«.[1]

Hinter den Eingängen in die Betriebe und Verwaltungen darf mit dieser »Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers« nicht Schluss sein. Freiheit nur in der Freizeit ist keine Freiheit. Lassen wir uns an einem Tag wie dem kommenden Mittwoch in den Betrieben und Verwaltungen den Mund verbieten lassen, sind wir Untertanen. Ein Mensch, der am  kommenden Mittwoch am Arbeitsplatz als Untertan handelt, kann auch abends, wenn er diesen Arbeitsplatz verlässt, keine mündiger und selbstbewusster Bürger sein. Nur wenn wir als abhängig Beschäftigte am kommenden Mittwoch  gemeinsam gegen rechte Gewalt und die Wegbereiter dieser Gewalt demonstrieren, sind wir nicht Knechte, sind wir nicht Mägde, sind wir keine Untertanen.

Wir erinnern daran, dass sich die Gewerkschaften nie ihr Recht auf Meinungsfreiheit in Betrieben und Verwaltungen haben nehmen lassen. Wir erinnern u.a.

  • an die Proteststreiks in der Zeit vom 25. bis 27.5.1972 wegen des Misstrauensvotums der CDU/CSU Bundestagsfraktion gegen Bundeskanzler Willy Brandt, an denen ca. 1000.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer teilnahmen;
  • an die „fünf Mahnminuten für den Frieden“, zu denen DGB und IG Metall am 5.10.1983 wegen der Stationierung von US Raketen aufriefen; an diesem Tag ruhte in vielen Betrieben die Arbeit von 11:55 bis 12:00 Uhr,  und
  • an die Jahren 2000 und 2007, als es zu Arbeitsniederlegungen aus Protest gegen die Rente mit 67 kam; diese Protest beruhten nicht auf einem gewerkschaftlichen Aufruf, wurden aber in den Betrieben von den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern organisiert.  

Samstag, den 29. Februar 2020

Benedikt Hopmann

Rechtsanwalt


[1]                                                              BVerfG v. 14.5.1985 Brockdorf 1 BvR 233, 341/81 Rn. 64, 62