Beiträge zur Vergesellschaftung des Gesundheitswesens und des Wohnens.

07.10.2021 | Veranstaltung ›Wohnkonzerne vergesellschaften!‹

Wohnkonzerne vergesellschaften!
Für ein Ja im Volksentscheid am 26. September

Es gab einmal eine Zeit, die mit dem Ziel der Vergesellschaftung von Konzernen große Hoffnungen verband, so weitgehend und allgemein tragfähig, dass sie in der damaligen Weimarer Verfassung (1919) niedergeschrieben wurde. Nicht zufällig im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, so dass diese Forderung nach dem Zweiten Weltkrieg ins Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Mai 1949) übernommen wurde. Damit war mehr gemeint, als Enteignungen von Privatgrundstücken für den Bau von Autobahnen vorzunehmen: Es ging um die Vergesellschaftung des großen Kapitals, allen voran der Schwerindustrie, die eine große Verantwortung für diese Kriege hatte. Gegenwärtig lebt die Forderung nach Vergesellschaftung vor allem wieder auf, wenn es um die Daseinsvorsorge geht, die Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse, von denen das Recht auf bezahlbares Wohnen (neben Gesundheit, kommunale Versorgung mit Energie und Wasser) ein zentrales Moment darstellt …

Die Veranstaltung mit Musik  fand im ver.di-Haus Berlin statt.

Passagen:

  1. Einführung durch die Koordination ›Unvollendete Revolution 1918
  2. Jonas Becker, Stand der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“
  3. Frank Wolf, Landesbezirksleiter ver.di
  4. Sabine Kördel, Ortsvorstand IG Metall Berlin
  5. Dietmar Lange, Historiker „Zur Geschichte des Artikel 15 Grundgesetz“
  6. Diskussion

Musik  |  The Incredible Herrengedeck

Moderation  |  Marianne Dallmer und Manfred Birkhahn

Veranstalter  |  Koordination ›Unvollendete Revolution 1918

Dokumentation  |  www.zweischritte.berlin 2021


Seit unserem Symposium vom März 2019 im IGMetall-Haus unterstützen wir die Ziele des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen und Co enteignen“, weil hiermit ein Schritt zur Vergesellschaftung von Daseinsvorsorge gemacht werden soll.
So haben wir im Vorfeld der Wahlen am 7.9.2021 zu ver.di in die Köpenicker Straße eingeladen, um das Ja im Volksentscheid zu begründen und zu vermehren.
Die Veranstaltung war sehr lebendig – wegen der Pandemie konnten nur 30 Personen teilnehmen.

VertreterInnen der beiden großen Gewerkschaften ver.di und IGMetall haben begründet, warum sie ihre Mitglieder auffordern, mit Ja zu stimmen.

Ein Vertreter der ‚Initiative Deutsche Wohnen enteignen‘ informierte über den Stand der Kampagne, ein historischer Abriss erklärte wie der Artikel 15 (Vergesellschaftung) in das Grundgesetz kam, und es wurde kurz diskutiert.

Zur guten Laune trug das Musikduo von ›Incredible Herrengedeck‹“ bei.

Foto: Ingo Müller


Flyer

Wie kam die Vergesellschaftung in die Verfassung?

War die Überführung der Großindustrie in Gemeineigentum eine alte Zukunftsvorstellung der Arbeiterbewegung, so wurde sie nach den Gräueln des Ersten Weltkrieges zur konkreten Forderung in der Novemberrevolution 1918. 
Die Mehrheit der Arbeiter und Arbeiterinnen hatte verstanden, dass der Krieg nicht fürs „Vaterland“, sondern für bessere Weltmarktchancen der Industriellen und Aktionäre geführt worden war. Die Arbeiter wollten sich nicht noch einmal für das Bürgertum verheizen lassen; deshalb sollten ihm die Grundlagen seiner Macht und die Ausbeutungsmöglichkeiten entzogen werden. Die schlimmsten Arbeitsbedingungen herrschten in den Bergwerken und in der Schwerindustrie, damit sollte Schluss sein, und man wollte nicht weiterhin Kriegsgewinnler wie Stinnes durch die eigene Arbeit bereichern.

Die Gewerkschaftsführungen hatten bereits sechs Tage nach dem Sturz des Kaisers im sogenannten Stinnes-Legien-Abkommen dem Unternehmerlager das Eigentum garantiert und dafür ihre Anerkennung als gleichberechtigte Verhandlungspartner eingehandelt, dennoch blieb die Sozialisierung neben der Entmachtung des Militärs die wichtigste Forderung der Arbeiterbewegung. Uneinig war man sich über den Weg; sollte die Sozialisierung von einer sozialistischen Mehrheit im künftigen Parlament, die man als sicher erwartete, beschlossen werden, oder sollte man sie über die Räte, denen in der Revolution überall die Macht zugefallen war, direkt durchsetzen?

Auf dem Reichsrätekongress, oberstes Organ der neuen Republik, war Mitte Dezember 1918 deutlich geworden, dass die übergroße Mehrheit den parlamentarischen Weg für richtig hielt, weil er einen größeren gesellschaftlichen Rückhalt versprach. Man beschloss Wahlen zur Nationalversammlung für den 19. Januar 1919.  Dennoch sprach sich die Versammlung mit noch größerer Mehrheit dafür aus, mit der Sozialisierung aller dafür reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen. Allerdings beschloss man dazu keine konkreten Maßnahmen, sondern beauftragte damit die Revolutionsregierung, den von der SPD dominierten Rat der Volksbeauftragten.

Dieser verbündete sich jedoch mit der Obersten Heeresleitung, um den letzten Widerstand gegen die Entmachtung der Arbeiter- und Soldatenräte zu brechen. Neuaufgestellte reaktionäre Truppen brachten in den Berliner Januarkämpfen über Hundert Revolutionäre um und ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

In den anschließenden Wahlen zur Nationalversammlung erhielt die SPD 37,9% – die USPD 7,6 %. Die Mehrheit der Arbeiterschaft hatte also das Vorgehen der Regierung gegen die revolutionären „Störenfriede“ gebilligt, und zur sozialistischen Parlamentsmehrheit hatte es nicht gereicht.

So war die Sozialisierung in weite Ferne gerückt, und es setzte eine allgemeine Desillusionierung in der Arbeiterschaft ein, zumal die Regierung nun auch reichsweit militärisch „aufräumen“ ließ und die SPD mit Verweis auf ihre bürgerlichen Koalitionspartner Sozialisierungen für nicht möglich erklärte. Im Verfassungsentwurf, den die Nationalversammlung in Weimar diskutierte, wohin sie aus Furcht vor der Berliner Arbeiterschaft ausgewichen war, kam die Sozialisierung nicht einmal vor. Ministerpräsident Scheidemann ließ verbreiten, dass kein Kabinettsmitglied daran denke, das Rätesystem in Verfassung oder Verwaltung einzugliedern – damit war auch der Sozialisierung eine Absage erteilt, denn vergesellschaftete Betriebe müssten natürlich durch Räte verwaltet werden.

Die Bergarbeiter im Ruhrgebiet besetzten nun das Kohlesyndikat und ihre Betriebe – sie organisierten die Produktion und führten die Sozialisierung damit selbständig durch. Die Regierung ließ die Bewegung durch die Freikorps Ende Februar 1919 blutig niederschlagen. Auch im mitteldeutschen Bergbaugebiet übernahmen nun die Arbeiterräte nach Provokationen durch die Freikorps Betriebe und Produktion, die Arbeiterschaft ging zur Unterstützung in den Generalstreik. Die Weimarer Nationalversammlung war mitten im Streikgebiet eingeschlossen, nur geschützt durch die Freikorps. Nun beschloss die Berliner Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte am 3. März den Generalstreik. Am Abend desselben Tages erklärte sich die Weimarer Nationalversammlung, die sich eigentlich um eine Woche vertagen wollte, auf Veranlassung eines erregten Scheidemann zur Tagung in Permanenz. Die Regierung legte dann am 4. März einen eiligst entworfenen Sozialisierungsartikel vor, der die Möglichkeit der Vergesellschaftung und die Regelung der Gemeinwirtschaft durch Selbstverwaltungskörper vorsah.  Damit war die Mehrheit der SPD-Anhängerschaft zufriedengestellt, die Bewegung gespalten, und in Mitteldeutschland musste der Generalstreik abgebrochen werden, nicht ohne Ermordung von Arbeitern durch die Freikorps.

Die Regierung hatte nun freie Hand, sich wieder auf Berlin zu konzentrieren: der Berliner Generalstreik ging in die Märzkämpfe über, und am Ende hatten die Regierungstruppen über 1.200 Arbeiter brutal ermordet. Wochenlang spülte die Spree Leichen ans Ufer. Danach konnte auch die Münchner Räterepublik durch staatlichen Massenmord beseitigt werden.

So war die Verankerung der Möglichkeit zur Sozialisierung in der Verfassung das Ergebnis eines Täuschungsmanövers zur Verhinderung der tatsächlichen Sozialisierung – ein Zugeständnis, für das Tausende gestorben sind.

Aus den Freikorps wurde die Wehrmacht gebildet. Sie verband sich mit der faschistischen Massenbewegung. Nach ihrer Niederlage im zweiten Versuch, zur Weltmacht zu werden, herrschte im zerstörten Deutschland nach Millionen Toten etwas Klarheit über die Mitschuld der Großindustrie und darüber, was gesellschaftlich geändert werden müsste: sogar die CDU hatte den Sozialismus in ihrem Wahlprogramm zu stehen. 1946/47 streikten wieder Arbeiter für die Vergesellschaftung ihrer Betriebe.
Bei einem Volksentscheid in Sachsen stimmten am 30.Juni 1946 über 77% für ein „Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes“, mit dem SED und sowjetische Militäradministration die Enteignungen absicherten.
 Am 1. Dezember 1946 stimmten bei einer Volksabstimmung  in Hessen 71% für die Sozialisierung der Großindustrie. Die Möglichkeit wurde in der Landesverfassung festgeschrieben, aber jahrelange Verzögerungsmanöver und schließlich ein Verbot durch die US-Besatzungsmacht verhinderten die Umsetzung.

In Westdeutschland hatte sich der parlamentarische Rat dann darauf geeinigt, die Wirtschaftsordnung nicht in der Verfassung festzuschreiben. Diese wirtschaftliche Neutralität war Ergebnis des Bonner Kompromisses zwischen SPD und bürgerlichen Parteien, die Anlässe zu Arbeiterprotesten vermeiden wollten. So ist es zum Artikel 15 des Grundgesetzes gekommen, der die Möglichkeit von Vergesellschaftungen gegen Entschädigung offen lässt. Wieder sieht man: das Zugeständnis sollte der damaligen wirklichen Bewegung zur Sozialisierung den Wind aus den Segeln nehmen.

Heute kann die Sozialisierungsbewegung daran anknüpfen, denn die Bestrebungen sind durch den Verfassungsartikel legal. Wir müssen ihn verteidigen, weil die Kämpfe wesentlich erschwert wären, wenn sie in die Illegalität gedrängt werden könnten.

Klaus Dallmer, Juli 2021

Nicht mit uns! Keine Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn!

„Die privaten Unternehmer erobern nicht nur extern, wie z.B. in China oder der EU, sondern auch intern, in Deutschland selbst, Märkte, die ihnen lange verschlossen waren. So sind sie etwa seit Jahren in der so genannte Daseinsvorsorge auf dem Vormarsch (Krankenhäuser, Wasser, ÖPNV usw.). Wir können die Bekämpfung dieser Privatisierung als ersten Schritt zu einer Politik in die umgekehrten Richtung verstehen und dann sind wir bei den Sozialisierungsforderungen der Revoution 1918/19.“

Benedikt H.

Nicht mit uns!

Berliner Bündnis „Eine S-Bahn für Alle“ kritisiert Einigung über die Ausschreibung der S-Bahn und kündigt Proteste an https://www.gemeingut.org/proteste-gegen-s-bahn-ausschreibung/

Pressemitteilung des Aktionsbündnisses „Eine S-Bahn für Alle“ Berlin, den 12. Mai 2020:

Das Aktionsbündnis „Eine S-Bahn für Alle“ kritisiert das Festhalten der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Zusammenwirken mit dem Verkehrsminister Brandenburgs an der Ausschreibung der Berliner S-Bahn. Der Raum für die dringend notwendige öffentliche Auseinandersetzung über diese folgenschwere Ausschreibung ist aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie aktuell nicht gegeben.

Das Aktionsbündnis fordert den Verzicht auf die Ausschreibung, welche die Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn auf Kosten von Fahrgästen, Beschäftigten und des Klimas zur Folge nach sich ziehen könnte. Dazu Selma und Simon von Students for Future Berlin:

„Eine Gesellschaft ist nur so gerecht, wie sie ihren Mitgliedern Teilhabe garantieren kann. In diesem Sinne ist für Students for Future Mobilität nicht nur ein ökologischer Grundpfeiler, sondern eindeutig eine soziale Frage. Das wiederum setzt die sozial-ökologische Verkehrswende auf die Tagesordnung. Und für uns heißt das: Ein ÖPNV, der nicht nur ökologisch nachhaltig, sondern auch sozial gerecht im Sinne der Beschäftigten und der Fahrgäste ist. Wir wollen eine S-Bahn, die klimafreundlich, attraktiv und bezahlbar ist. Mit der Ausschreibung in dieser Form ist das alles nicht möglich.“

Das Aktionsbündnis warnt, dass im Extremfall mehr als zehn Unternehmen für verschiedene Bereiche der Berliner S-Bahn zuständig sein könnten. Durch die entstehenden Schnittstellen sind Verkehrschaos und Mehrkosten vorprogrammiert. Dazu Uwe Krug, Vorsitzender der Ortsgruppe S-Bahn Berlin der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL):

„Es geht bei der Ausschreibung nicht darum, die S-Bahn auszubauen, sie pünktlicher zu machen oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es geht um die Profitinteressen privater Betreiber. Es kann nicht sein, dass die S-Bahn privatisiert wird und wir als Beschäftigte dafür zahlen. Fast alle der Kollegen sagen: Nicht mit uns! Unsere Gesprächsangebote wurden von der Politik bislang ignoriert. Jetzt müssen wir neue Wege gehen: Wir als Beschäftigte werden uns zu wehren wissen.“

Die Online-Petition gegen die Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn wurde bereits von mehr als 2500 Berliner*innen unterzeichnet. Das zeigt: In der Berliner Bevölkerung genießen die Forderungen des Aktionsbündnisses große Unterstützung. Beim Petitionsauschuss des Abgeordnetenhauses wurden mehrere Petitionen gegen die Ausschreibung eingereicht. Zahlreiche Organisationen wie attac, Naturfreunde Berlin, kritisieren die Ausschreibung scharf.


Um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen und den Druck auf die Politik zu erhöhen, kündigen wir folgende Kundgebung an:

Am Freitag, den 22. Mai, um 15:00 Uhr, wird es unter dem Motto „Nicht mit uns! Keine Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn“ eine große Widerstandskundgebung vor dem Roten Rathaus geben.

Gesundheit – Der Kern der deutschen Krankenhausmisere

Autor: Kalle Kunkel

Dieser Text erschien zuerst bei der Wochenzeitung ›Der Freitag‹ (13.03.2020) unter freitag.de.

Gesundheit Huch, hatten wir in den Klinken nicht gerade noch „Überkapazitäten“? Wie die Corona-Krise den Irrsinn von Fallpauschalen und Erlösorientierung offen legt.

Die Coronavirus-Epidemie macht deutlich, dass Krankenhäuser eine gesellschaftliche Infrastruktur sind, die für Krisenfälle eine ausreichende Kapazität vorhalten muss.

Zeitgleich zur Verbreitung des Corona-Virus entbrennt eine Diskussion darüber, ob das deutsche Gesundheitssystem für einen solchen Krisenfall gewappnet ist. Erste Signale, dass es hier nicht zum Besten steht, hat die Regierung selbst unfreiwillig gesendet: Bereits vergangene Woche erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die erst kürzlich in Kraft getretenen minimalistischen (Pflege-) Personalvorgaben („Untergrenzen“) für die Krankenhäuser vorerst wieder außer Kraft zu setzen, damit die Krankenhäuser auch dann unter Volllast behandeln können, wenn das (Pflege-) Personal knapp wird. In dieser Hinsicht wirkt die Cornona-Pandemie eher wie ein Brennglas, in dem schon länger bekannte Probleme besonders scharf sichtbar werden: es fehlt an Personal in den deutschen Krankenhäuser.

Die Pandemie sorgt jedoch auch in weiteren krankenhauspolitischen Fragen für eine Perspektivverschiebung. Von (neo)liberaler Seite wurden in den vergangenen Jahren vor allem die angeblichen „Überkapazitäten“ an Bettenplätzen und Krankenhausstandorten in Deutschland in den Mittelpunkt der Debatte gestellt. Sie würden zu einer Fehlsteuerung der Ressourcen führen. Weniger Betten konzentriert an weniger Krankenhausstandorten – so die über Jahre eingeübte Kernbotschaft – würden ermöglichen, mit dem vorhandenen Personal die Pflegebedingungen für PatientInnen und Beschäftigte zu verbessern und sogar noch Geld zu sparen. Die im europäischen Vergleich hohe Bettendichte pro EinwohnerIn gilt in dieser Argumentation als Beleg für Rationalisierungspotential.

Die Debatte verschiebt sich

Mit der Corona-Pandemie verschiebt sich die Debatte. Jens Spahn wird in diesen Tagen nicht müde zu betonen, dass Deutschland mit seiner im europäischen Vergleich hohen Dichte insbesondere von Intensivbetten, gut auf Corona vorbereitet sei und über „ein vergleichsweise gut bis sehr gut ausgestattetes Gesundheitssystem“ verfüge. Was gestern also noch eines der größten Probleme des deutschen Krankenhauswesens gewesen sein soll, verwandelt sich von einem auf den anderen Tag in ein wichtiges Argument für die ,Leistungsfähigkeit des Deutschen Gesundheitswesens‘. Dass der Minister es für nötig hält, die Personalvorgaben für diese Bereiche außer Kraft zu setzen, verweist jedoch darauf, dass man auch im Gesundheitsministerium nicht restlos von der eigenen Botschaft überzeugt ist.

Diese Entwicklung macht deutlich, dass Krankenhäuser eine gesellschaftliche Infrastruktur sind, die für Krisenfälle eine ausreichende Kapazität vorhalten muss. Diese Kapazitäten können per Definitionem im nicht-Krisenmodus zumindest zum Teil nicht genutzt werden.

Damit sind wir beim Kern der deutschen Krankenhausmisere: der Finanzierung nach den sog. Fallpauschalen (DRG). Denn deutsche Krankenhäuser bekommen nur ein Minimum ihres Budgets für die Vorhaltung von Kapazitäten. Die Krankenhäuser werden pro Patientenfall bezahlt, den sie behandeln. Sie müssen ihre Kapazitäten immer so auslasten, dass sie über die Erlöse durch die einzelnen Patientenfälle genug Geld einnehmen, um den Betrieb ihrer gesamten Infrastruktur (inklusive Personal) finanzieren zu können.

Was Lauterbach verschweigt

In einem solchen System handelt betriebswirtschaftlich unverantwortlich, wer seine Kapazitäten nicht so weit wie möglich auslastet. Für den Krisenfall vorgehaltene (leere) Betten sind aus der individuellen Krankenhausperspektive Erlösausfälle. Das Problem beginnt also nicht erst – wie man es aktuell in verschiedenen Stellungnahmen hört – mit der Gewinnorientierung. Es beginnt bereits mit der „Erlösorientierung“ – also dem Zwang den gesamten Betrieb durch das Erbringen von „Leistungen“ finanzieren zu müssen – unabhängig davon, ob diese individuell oder gesellschaftlich gerade sinnvoll sind. Es wäre, wie wenn die Feuerwehr nur für jeden gelöschten Brand bezahlt werden würde.

Dies gilt auch für die aktuelle Situation. Aus epidemiologischer Sicht müssten die Krankenhäuser schon jetzt beginnen, Kapazitäten frei zu machen, indem planbare – sog. elektive – Eingriffe verschoben werden. Dies soll nun nach Absprache zwischen Bund und Ländern ab Montag umgesetzt werden. Für das Krankenhaus ist das jedoch ein betriebswirtschaftliches Risiko, für das es im aktuellen Finanzierungssystem keine Lösung gibt. Denn zum einen wissen die Krankenhäuser nicht, wann und in welchem Umfang die Corona-Fälle wirklich kommen und sie entsprechend mit ihnen Geld verdienen können. Noch wichtiger: sie wissen auch nicht ob die Erlösausfälle, die sie vielleicht durch die Verschiebung von lukrativen „Fällen“ erleiden, durch die Erlöse über Corona-PatientInnen kompensiert werden können. Zumal diese wegen der Notwendigkeit der Isolation viele Kapazitäten in Beschlag nehmen werden. Das schwant inzwischen auch dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der in der Tagesschau davor warnte, dass private Klinikbetreiber sich gegen die Aufnahme von Corona-PatientInnen wehren könnten, weil sie damit „lukrativere“ Patienten verlieren. Was Lauterbach verschweigt: durch das Fallpauschalen-System, das er seinerzeit selbst mit eingeführt hat, besteht dieser Anreiz auch für öffentliche und freigemeinnützige Häuser.

Durch die Art der Krankenhausfinanzierung stehen die betriebswirtschaftlichen Einzelinteressen der Krankenhäuser also in einem beständigen Spannungsverhältnis zum öffentlichen Interessen an einer Gesundheitsinfrastruktur. Dies wird in der aktuellen Situation zu beständigen Verzögerungen und Problemen in den Abstimmungsprozessen führen. Krankenkassen und Krankenhäuser sollen sich nach Willen des Gesundheitsministeriums nun darüber verständigen, wie Erlösausfälle kompensiert werden sollen. Angesichts der Tatsache, dass diese beiden Akteure sich jedes Jahr mit tausenden von Gerichtsverfahren, wegen Abrechnungsfragen überziehen, werden sie sich nicht leicht tun, sich über die nicht ganz banale Frage zu verständigen, wie diese Erlösausfälle zu berechnen sind. Die Bundesregierung zieht sich hier aus der Affäre, in einer Situation, in der jede Unsicherheit vermieden werden muss.

Ohne Desinfektion

Bis zu der jüngst angekündigten Absage der planbaren Behandlungen wurde das Problem vor allem durch das Aussetzen der „Untergrenzen“ auf dem Rücken der Beschäftigten gelöst. Wie reibungslos diese Ankündigung angesichts des Erlösdrucks umgesetzt wird, werden die nächsten Tage zeigen. Der Pflegeberufsverband DBfK berichtet bereits davon, dass Kliniken das Aussetzen der Untergrenzen nutzen um Betten mit Nicht-Corona-PatientInnen zu belegen. Dabei ist das Aussetzen der Personalstandards bei der Ausbreitung eines hoch ansteckenden Virus besonders widersinnig. Eine der zentralen Gegenmaßnahmen gegen die Übertragung im Krankenhaus, ist eine ausgiebige Händedesinfektion. Umfragen unter Pflegekräften habe gezeigt, das diese bei Unterbesetzung mit als erstes vernachlässigt wird.

Wir lernen also jetzt schon aus der Krise, dass die Propagierung angeblicher Überkapazitäten und der Notwendigkeit von flächendeckenden Krankenhausschließungen, wie sie die Bertelsmann-Stiftung und andere betreiben, unverantwortlich ist. Es ist aber darüber hinaus überfällig, Alternativen zum bestehenden System der Fallpauschalen-Finanzierung zu entwickeln. Krankenhausversorgung darf nicht den Marktanreizen überlassen, sondern muss demokratisch geplant werden.


Kalle Kunkel hat als Verdi-Gewerkschaftssekretär die Streiks zu Personalbemessung an der Charité in Berlin mitorganisiert. Er ist in der Kampagne „Krankenhaus statt Fabrik“ aktiv.

07.02.2020 | Veranstaltung ›Vom ‚Volkseigentum‘ zur Treuhand‹

Am 7. Februar 2020 hat die ver.di Mediengalerie zusammen mit der Koordination „1918 unvollendete Revolution“ zu einer Veranstaltung zur Erinnerung an 30 Jahre „Vom Volkseigentum zur Treuhand“ eingeladen.

Gemeinsames Thema natürlich die Privatisierung der DDR-Betriebe. Diskutiert wurde nach Beiträgen von Sebastian Gerhardt und Bernd Gehrke mit ihnen zum betrieblichen Widerstand in der DDR 1989/91. Die Veranstaltung hatte viele Besucher, die davon profitierten, dass die beiden Referenten selbst an den Auseinandersetzungen teilgenommen hatten und die damalige Situation hervorragend analysierten. Eine lange Debatte folgte, in der die Ambivalenz der Prozesse deutlich wurden. Mit der Währungsunion war klar, dass es keine demokratisch-sozialistische DDR mehr geben würde. Viele aktive Gewerkschafter aus der DDR hofften auf den DGB und die Brudergewerkschaften im Westen. Aber es gab eben auch viele Illusionen in die Vorteile des Kapitalismus.

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