›Höchste Zeit, dass Gewerkschaften ein Zeichen setzen!‹

Gedenkveranstaltung für Opfer rechter Gewalt in Hanau. Aufruf zur Arbeitsniederlegung am heutigen Mittwoch. Ein Gespräch mit Benedikt Hopmann.


Das Interview mit Benedikt Hopmann führte Gitta Düperthal für die Junge Welt.
Erstveröffentlichung: Junge Welt Ausgabe vom 04.03.2020

Benedikt Hopmann ist Anwalt für Arbeitsrecht in Berlin, vertritt abhängig Beschäftigte und berät Betriebsräte und Gewerkschaften


Am Mittwoch findet in Hanau die Trauerfeier für die Opfer des rassistischen Anschlags statt. Sie haben zu diesem Anlass Petitionen ins Leben gerufen, in denen Sie zur zehnminütigen Arbeitsniederlegung, beginnend um 11.50 Uhr, aufrufen. Wie kamen Sie auf die Idee, dies gegenüber den Vorständen und Bezirksleitungen der Gewerkschaften zu fordern?

Besagte Petitionen, die sich mit demselben Wortlaut an verschiedene Adressaten wenden, habe ich – das sei zunächst gesagt – gemeinsam mit der Initiative »9. November 2018 – 100 Jahre unvollendete Revolution« initiiert. Unser Aufruf verweist auf die 94 Todesopfer rechter Gewalt, die seit 1990 offiziell anerkannt sind. Nach Angaben von Tagesspiegel und Zeit online sind es mindestens doppelt so viele. Im vergangenen Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Rechten ermordet. Im Oktober versuchte in Halle ein Neonazi vergebens, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in eine Synagoge einzudringen, in der sich über 50 Menschen aufhielten, um dann anschließend zwei Menschen zu erschießen. Vor zwei Wochen nun der Mord aus rassistischen Motiven an neun Menschen in Hanau. Angesichts dessen ist es höchste Zeit, dass die Gewerkschaften ein Zeichen gegen rechte Gewalt setzen, sowie gegen die, die den Boden dafür bereiten.

Die Petitionen zeigten bereits Wirkung: Die IG Metall Hanau-Fulda, Verdi Hessen und Verdi Berlin-Brandenburg haben jeweils mit eigenen Worten Arbeitsniederlegungen vorgeschlagen. Der DGB selbst hat sich bisher nicht geäußert.

Der Verdi-Landesverband Berlin-Brandenburg macht seinen »Vorschlag« allerdings davon abhängig, dass »viele Arbeitgeber« ihren Beschäftigten »diese zehn Minuten antirassistischen Gedenkens gestatten würden«. Heißt doch: Passt es dem Unternehmen nicht, soll es keinen Streik geben. Wie finden Sie das?

Zunächst ist es gut, dass Verdi Berlin-Brandenburg mitmacht. Wir dürfen diese demonstrative Arbeitsniederlegung aber auf keinen Fall von der Zustimmung der Arbeitgeber abhängig machen. Es geht hier um die Meinungsfreiheit der Beschäftigten, die sich gegen rechte Gewalt aussprechen. Das Bundesverfassungsgericht sagte 1985 in seinem Urteil zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit: Das Recht, »sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers«. Ergo: Lassen wir uns an einem Tag wie dem der Gedenkveranstaltung den Mund verbieten, sind wir nicht mehr als Untertanen.

Die IG Metall Berlin vertritt in ihrem Aufruf hierzu eine andere Position als Verdi Berlin-Brandenburg. Sie erwähnt in ihrer Erklärung die Arbeitgeber nicht, dafür aber die Vertrauensleute.

Zurück zu Ihrem Anliegen. Ein zehnminütiger Streik – wen soll das beeindrucken?

Sicher hätte es eine stärkere Wirkung, die Arbeit länger niederzulegen. Aber es geht doch vielmehr darum zu erkennen, dass die Betriebe und die Verwaltungen die richtigen Orte dafür sind, um ein klares Signal gegen rechts zu setzen. Das haben auch der Gesamtbetriebsrat und der Vorstand der Daimler AG erkannt und sich geeinigt, an allen deutschen Standorten diese Gedenkminuten zu machen.

Welche Rolle spielt bei diesem Thema die »unvollendete Revolution« vor mehr als 100 Jahren?

Die Gewerkschaften haben zweimal in ihrer Geschichte fundamental gegen ihre eigenen Interessen und die ihrer Mitglieder gehandelt: Das erste Mal stellten sie sich im Ersten Weltkrieg auf die Seite der kriegführenden Regierung. »Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich«, hieß es damals. Das zweite Mal riefen sie mit zu Hitlers Maifeier am 1. Mai 1933 auf. Die Quittung bekamen sie am Tag darauf: Faschisten stürmten die Gewerkschaftshäuser und zerschlugen alles, was bis dahin erkämpft worden war. Das endete wieder in einem verheerenden Krieg. Toni Sender, Cläre Casper, Otto Brenner, Willi Bleicher und andere Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter standen dagegen für eine antifaschistische Haltung. Auf dieses Erbe sollten wir uns besinnen. Dass wir gegen rechte Gewalt und deren Wegbereiter sind, dürfen wir nicht nur sagen, sondern müssen es auch zeigen.

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